Dokument-Nr. 445
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio
Breslau, 24. Januar 1922

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Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius und Erzbischof!
Exzellenz!
Wie ich bereits mehrfach Euerer Exzellenz mitzuteilen Gelegenheit hatte, sind unter den seither bestandenen Bestimmungen über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Preussen einige Gegenstände, welche wegen ihrer grösseren Bedeutung und wegen ihres Connexes mit den seither zwischen dem Heiligen Stuhle und der Landesregierung bestandenen Vereinbarungen bei der Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche wohl nur unter Mitwirkung des Heiligen Stuhles in Bearbeitung genommen werden können. Hierauf ist sowohl seitens des Episkopates, wie seitens des Preussischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung bei den in den letzten Jahren gepflogenen Verhandlungen, die hauptsächlich auf die sofort neu zu ordnenden Vermögensverwaltungsbestimmungen sich bezogen, Rücksicht zu nehmen.
Da nun jene bedeutsamen Fragen, dringend der baldigen Neuordnung bedürfen, und da nach den mir gewordenen Mitteilungen Euere Exzellenz nunmehr die einschlägigen Verhandlungen zu be-
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ginnen beschlossen haben, sei es mir gestattet, Euerer Exzellenz als dem Vertreter des Heiligen Stuhles Nachstehendes namens des Preussischen Episkopates zu unterbreiten.
Uebergehen darf ich die Frage, ob und in welchen Stücken die seitherigen Abmachungen zwischen dem Heiligen Stuhle und der Preussischen Landesregierung noch formelle Geltung haben oder nicht. Der Episkopat anerkennt mit Dank, dass der Heilige Stuhl mit weiser Umsicht alles vermieden hat, was in der Uebergangszeit zu Differenzen hätte Anlass geben können, und dass nachdrücklich betont ist, wie sehr für die Erhaltung guter Beziehungen zwischen Staat und Kirche der rasche Abschluss einer neuen endgültigen Vereinbarung im Interesse beider Teile liegt. Auch der Episkopat hält den Abschluss für viel nützlicher als das Verweilen bei theoretischen Untersuchungen. Es ist das tiefste Verlangen des ganzen deutschen Volkes, dass endlich jene Freiheit der Verwaltung der eigenen Angelegenheiten voll und ganz in Uebung trete, die durch die Reichsverfassung der katholischen Kirche in Deutschland mit unanfechtbarer Klarheit gewährleistet ist.
Um nun zu den einzelnen Punkten zu kommen, darf ich Bezug nehmen auf meine Eingabe an das Cultusministerium vom 24. Oktober 1920, die Euere Exzellenz kennen.
I.
Die katholische Kirche muss volle Freiheit geniessen in der Vorbildung der Geistlichen, einerlei ob sie für höhere, mittlere oder
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niedere kirchliche Aemter ausersehen sind. Denn
1.) hat die kirchliche Autorität gerade in diesem Stücke stets mit grösstem Nachdruck auf ihre Freiheit Gewicht gelegt und jede Einmischung des Staats als eine Verletzung ihrer notwendigen Rechte und als ein verletzendes, unbegründetes Misstrauen bezeichnet.
2.) Die katholische Kirche ist zu allen Zeiten die treueste Hüterin und Vermittlerin der human-gymnasialen Bildung gewesen, auf die auch der Staat grossen Wert legt. Selbst wenn andere Religionsgesellschaften davon teilweise abwichen, ist die katholische Kirche niemals diesem Beispiele gefolgt, und kann ihm nicht folgen.
Dasselbe gilt von jener gründlichen akademischen philosophischen und theologischen Bildung, wie die Erlasse der Sacra Congregatio de Seminariis et de Studiorum Universitatibus beweisen. Darin liegt genügende Gewähr.
3.) Niemals duldet die Kirche eine Richtung der Ausbildung, die der Achtung vor der jeweiligen staatlichen Autorität nachteilig sein würde. Ist doch die katholische Kirche die treueste Hüterin des Gehorsams gegen jede Form staatlicher Autorität.
4.) In einer Zeit, wo die höchsten Staatsämter ohne jede Rücksicht auf Vorbildung verliehen werden, ist es unverständlich, warum kirchliche Aemter eine staatlich normierte Vorbildung zur Voraussetzung haben sollen.
5.) Dass die Vorbildungsgesetze durch die Reichsverfassung aufgehoben sind, hat u. a. der Geh. Finanzrat Dr. Schmitt mit überzeugender Klarheit nachgewiesen. Vergl. Zeitschrift für badische Verwaltung 1921 Nr. 22f.
6.) Auch aus der Bewilligung staatlicher Gehaltszahlungen kann der Staat
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nicht ein Recht auf Normierung der Vorbildung herleiten. Denn:
a) Selbst die vom Staate als freiwillig bezeichneten Zulagen werden nicht bewilligt wegen der Vorbildung, sondern wegen der Bedeutung des Wirkens der Kirche für das Wohl des Volkes; und
b) könnte der Staat aus der Bewilligung von Zulagen ein Recht zu Vorschriften über Vorbildung herleiten, so könnte er noch viele andere Fesseln um die Freiheit der Kirche aus diesem Grunde herleiten und so durch Drohung mit Entziehung des Brotes die ganze Freiheit der Kirche trotz Reichsverfassung aufheben. Das ist widersinnig, dem Geiste der Freiheit widersprechend und illegal, weil mit der Grundrichtung der Reichsverfassung unvereinbar.
7.) Das Vorbildungsgesetz ist auch für den Staat überflüssig. Denn wer die Lage der Katholiken in Preussen kennt, weiss, dass die Kandidaten gar keinen anderen Bildungsweg haben, als durch deutsche Volksschule, deutsche Gymnasien und die bestehenden Anstalten. Dass einer auf anderem Wege zum Priestertum kommt, bleibt immer seltene Ausnahme. Wozu also dieses aus prinzipiellen Gründen abzulehnende Gesetz?
II.
Dass die Bischöfe die Frage, ob und inwieweit der Forderung des Staates Rechnung zu tragen ist, dass bei Zulassung von Ausländern zu kirchlichen Aemtern eine staatliche Genehmigung notwendig ist, ganz dem Ermessen des Heiligen Stuhles überlassen, hat seinen Grund in dem internationalen Charakter dieser Frage.
III.
Die Frage der Mitwirkung des Staates bei Besetzung der bischöflichen Stühle, der Dompropsteien und der in ungeraden Monaten erledig-
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ten Kanonikate etc. hat bereits eine vorbereitende Bearbeitung in der Stellungnahme des Heiligen Stuhles gefunden, indem dieser die dem Könige gegebenen Bewilligungen als nicht mehr bestehend behandelt, seitdem das Königtum beseitigt ist.
Mit staatlichen Zahlungen hängt diese Frage nicht zusammen, weil diese Zahlungen nicht auf Grund jenes Privilegs erfolgen, sondern dem Staate obliegen aus der Universal Succession des Staates im Vermögen der säkularisierten bischöflichen Stifte und Domkapitel und aus den durch den Reichsdeputationsschluss festgelegten Verpflichtungen. Die gleiche Quelle haben die Zahlungen für die Diözesaninstitute und die Diözesanverwaltungsbehörden.
IV.
Die Anzeigepflicht bei Neubesetzung von Pfarrstellen ist fortgefallen durch Art. 137 der deutschen Reichsverfassung.
V.
Ueber die Notwendigkeit von Aenderungen in den Gesetzen betreffend die Vermögensverwaltung ist bereits eine vorbereitende Verständigung zwischen dem Cultusministerium und den Bischöfen erfolgt. Wenn Euere Exzellenz gestatten, darf ich diese Angelegenheit, die wegen der Dringlichkeit der ungestörten Verwaltung und der Erhebung von Kirchensteuern vorab zu behandeln notwendig war, hier übergehen. Es handelte sich wesentlich um Beseitigung von Härten in Gesetzen, deren Fortdauer vom gesamten Episkopate deshalb als notwendig anerkannt ist, weil die gesamte Vermögensverwaltung aller Kirchengemeinden und die Beschaffung der ihnen unentbehrlichen Kirchensteuern seit 5 Jahrzehnten so in diesen Gesetzen verankert ist, dass es nicht möglich erschien, diese gut bewährte Ordnung durch etwas ganz Neues zu ersetzen. Es war also
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eine modifizierte Bearbeitung vorzubereiten, wie geschehen ist.
VI.
Notwendig ist es, dass der Staat alle dem katholischen Cultus dienenden Gebäude, die den Altkatholiken zugewiesen sind, jetzt dem katholischen Cultus zurückgebe. In Einzelfällen ist dieses schon geschehen. Einzelne andere Fälle sind noch zu ordnen. Dass jene Wegnahme von Kirchen ein ungerechter Eingriff in die Rechte der katholischen Kirche war, ist so allgemein anerkannt, dass weitere Begründung nicht erforderlich sein wird.
VII.
Was das patronatliche jus praesentandi betrifft, so muss die Forderung aufgestellt werden, dass es in Wegfall gekommen ist, soweit es mit dem Reichsrecht oder kanonischen Recht in Widerspruch steht.
VIII.
Die Verhältnisse zwischen Kirche und Staat bei Besetzung theologischer Professuren an Universitäten sind in den von Euer Exzellenz vorgeschlagenen Grundlinien in dankenswerter Weise neu formuliert.
IX.
Soweit noch Sonderbestimmungen über die Aufsicht des Staates bei Gymnasialkonvikten, theologischen Konvikten, Priesterseminarien, Demeriten-Anstalten bestehen, ist ihr Wegfall anzuerkennen.
X.
Die Cirkumskriptionsbullen von 1821 setzen, solange die Dotationen der bischöflichen Stühle, Dignitäten, Domkanonikate usw. nicht durch Grundbesitz erfolgt sein würden, bestimmte Zahlungen ziffermässig fest. Dieser Festsetzung liegt der damalige Geldwert, die damalige Kaufkraft des Geldes zu grunde. Der ganze Aufbau der Vereinbarungen
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von 1821 beweist klar, dass den Inhabern eine wirklich ausreichende Substentation gegeben werden sollte. Daraus folgt mit Notwendigkeit, dass jene Ziffern nicht mehr massgebend sein sollten in einer Zeit, wo der Wert und die Kaufkraft des Geldes auf 1/10 sinkt. Daraus ergibt sich die Rechtspflicht des Staates, jene Ziffer entsprechend zu erhöhen. Das muss anerkannt und verbrieft werden.
Ein Gleiches gilt von den Leistungen für die Diözesaninstitute und die Diözesan-Verwaltungsbehörden.
XI.
Während obige Stücke das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Preussen betreffen, ist vom Reiche eine Aenderung des Gesetzes über Eheschliessung zu fordern.
Nachdem die staatlichen Interessen in der Eheschliessung durch die Zivilehe voll und ganz geordnet sind, ist kirchliche Trauung ein rein innerkirchlicher Akt. Für diesen muss an sich und auch auf Grund der Reichsverfassung volle Freiheit verlangt werden. Es ist unerträglich, dass ein Geistlicher wegen des kirchlichen Aktes deshalb bestraft wird, weil die Ziviltrauung nicht vorhergegangen ist. Das ist in zahllosen Fällen ein unerhörter Gewissensdruck, eine Ursache von Tausenden von Conkubinaten, an zahlreichen Orten daher ein Ruin der öffentlichen Sittlichkeit.
XII.
Voll und ganz steht der Episkopat auf dem Standpunkte, den Euere Exzellenz hinsichtlich der religiösen Erziehung der Jugend eingenommen
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haben. Die Gründe für die aufgestellten Forderungen finden im ganzen katholischen Volke den lautesten Beifall. Alle anderen obigen Forderungen erreichen nicht viel, wenn nicht die religiöse Erziehung der Jugend gewährleistet ist. Nicht nur im Interesse der Kirche, sondern auch im vaterländischen Interesse wird der Episkopat geschlossen für die von Euer Exzellenz aufgestellten Forderungen eintreten. Hoffentlich verschliessen sich die massgebenden Stellen nicht der Erkenntnis, welche Bedeutung diese Forderungen für den religiösen und sittlichen Wiederaufbau Deutschlands haben.
In tiefster Ehrerbietung verbleibe
Euerer Exzellenz
ganz ergebener
(gez.) A. Card. Bertram.
Empfohlene Zitierweise
Bertram, Adolf Johannes an Pacelli, Eugenio vom 24. Januar 1922, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 445, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/445. Letzter Zugriff am: 12.12.2024.
Online seit 31.07.2013.