Dokument-Nr. 4453
Fritz, Karl an Pacelli, Eugenio
Freiburg im Breisgau, 30. Januar 1926

Eure Exzellenz!
Auf das sehr geschätzte Schreiben vom 12. v. Mts. beehre ich mich bezüglich etwaiger neuer Abmachungen zwischen dem hl. Stuhl und dem Badischen Staat mitzuteilen, nachdem ich mich mit massgebenden Persönlichkeiten der Regierung und des Badischen Landtags vertraulich und vorsichtig benommen habe:
Die Badische Regierung ist auch heute der Anschauung, dass die zwischen dem Hl. Stuhl und dem Grossherzog von Baden (badischen Staat) in den Jahren 1821 und 1827 getroffenen Vereinbarungen noch gelten; nie hat sie eine andere andere [sic] Anschauung kundgegeben und sie hat nach der Revolution von 1918 bis heute gemäss dieser Vereinbarung ihre finanziellen Leistungen an die katholische Kirche bewirkt, sie sogar teilweise seit 1920 erhöht. In die Wahlen des Erzbischofs, des Domdekans und der Domkapitulare, sowie die Ernennung der Pfarrer und Hilfsgeistlichen, auch in die Ausbildung des Klerus hat sie seit der genannten Revolution sich nicht im mindesten eingemischt und keinerlei Einfluss zu gewinnen gesucht; die Vorschriften der Deutschen Reichsverfassung vom 11. August 1919 Art. 137 Abs. 3 und der Badischen Verfassung vom 21. März 1919 § 18 Abs. 3 S. 2, 3 und 4, wornach [sic] jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet, ihre Aemter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde verleiht, auch die ehemals landesherrlichen Patronate aufgehoben sind, werden eingehalten.
Soeben bin ich mit der Regierung über den Entwurf eines „Vermögens-
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verwaltungsgesetzes" einig geworden, den ich hier beizulegen mir gestatte; wird er Gesetz, so hat die katholische Kirche in Baden die grösste Freiheit in der Verwaltung ihres Vermögens, wie sie in keinem deutschen Staat gewährleistet ist. Ich bemerke nur, dass in § 2 „unter staatlichem Recht" nichts anderes als „das für alle geltende Gesetz" (Reichsverfassung) zu verstehen ist, wie ausdrücklich festgestellt worden ist. Es besteht begründete Hoffnung, dass der Entwurf Gesetz wird.
In Baden wird voraussichtlich die Schulfrage demnächst gesetzgeberisch behandelt werden. Der abgegangene Minister des Kultus und Unterrichts Dr. Hellpach (Demokrat) hat am 10. Juli v. Js. dem Landtag eine Novelle zum bisherigen Schulgesetz vom 7. Juli 1910 §§ 44 und 46 vorgelegt, deren Entwurf ich anschliesse. Da nunmehr die Gelegenheit gekommen war, die seitherige simultane Lehrerbildung wenn möglich zu beseitigen und die konfessionelle zu erreichen, habe ich die mitfolgende Vorstellung vom 27. Juli 1925 N. 8060 an das Staatsministerium gerichtet, die auch dem Landtag vorgelegt wurde. Der Gesetzentwurf blieb in der Ausschussberatung stecken. Wie ich nun vertraulich vernehme, wird Minister Remmele (Sozialdemokrat), der Minister des Innern ist und das Ministerium des Kultus und Unterrichts mitverwaltet, den Entwurf verändert wieder dem Landtag vorlegen; man sagt mir, dass Hoffnung besteht wenigstens und die andere konfessionelle Lehrerbildungsanstalt zu erhalten; ob diese Hoffnung sich erfüllen wird, lasse ich dahingestellt - - ich werde das Mögliche tun, dass die Lehrerbildung konfessionell wird, und hoffe auf das rückhaltlose Eintreten des badischen Zentrums. Ob auch der evangelische Oberkirchenrat ernstlich sich bemüht, bezweifle ich; seine von mir durch Mittelpersonen veranlasste Vorlage an das Staatsministerium zur Gesetzesvorlage vom 10. Juli 1925 war recht schwach. Ich muss für die konfessionelle Lehrerbildung jetzt eintreten, damit der Weg zum Kampf um die Beseitigung der Simultanschule und für die Einführung der konfessionellen Schule offen bleibt und geebnet ist.
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In Baden haben wir seit etwa 50 Jahren die simultane Volksschule. Bezüglich des Religionsunterrichts hat der Erzbischof weitergehende Rechte als die preussischen Bischöfe in der Bekenntnisschule sie besitzen (Anordnung der Lehrbücher, Festsetzung des Lehrstoffes, Beaufsichtigung und Prüfung des Religionsunterrichtes durch seine Schulinspektoren). Die Mehrzahl der Schulen dürfte tatsächlich konfessionell sein, weil die Bevölkerung in vielen Gemeinden ganz ungemischt oder grösstenteils konfessionell nicht gemischt ist. Die Schulinspektoren anerkennen und loben vielfach den Stand der religiösen Unterweisung und Gewöhnung der Kinder; erhebliche Beanstandungen werden selten, jedenfalls bei weitem nicht in der Mehrzahl der Prüfungen, die jährlich sind, gemacht. Der Lehrer erteilt den Unterricht in der biblischen Geschichte und im Kirchengesang, in den Unterklassen (1.-3. Schuljahr) auch im Katechismus, wenn der Geistliche wegen Arbeitsüberhäufung letzteren nicht geben kann. Der Geistliche unterrichtet im Katechismus, Kirchenlied (Erklärung) und Kirchenjahr, sowie im christlichen Leben (religiöse Gewöhnung).
Während früher beinahe nichts gegen die gemischte Schule, nachdem sie einmal trotz Widerspruchs der Kirchenbehörde und des katholischen Volksteils gesetzlich eingeführt war, in der Oeffentlichkeit geschehen ist, habe ich vor 2 Jahren und seitdem wiederholt auf ihre Mängel und die Vorzüge der konfessionellen Schule und Erziehung in ihr hingewiesen und Propaganda in Versammlungen und in der Presse machen lassen. Selbst unter den Katholiken habe ich nicht allseitig Verständnis gefunden; „wir haben die jetzige Schule auch durchgemacht und sind rechte Katholiken", hört man sagen. Hiezu kommt der Widerstand aus Lehrerkreisen und die Besorgnis, dass die konfessionelle Schule grössere Aufwendungen an Gebäulichkeiten verursachen könne. Der Evangelische Oberkirchenrat und die erdrückende Mehrzahl der Protestanten sind mit der gemischten Schule zufrieden. Im Parlament wird für die konfessionelle Schule voraussichtlich nur das Zentrum eintreten.
Auch beim Eintreten für die konfessionelle Lehrerbildung musste ich hören: „Aus den gemischten Lehrerseminaren sind ebenso katholische Lehrer her-
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vorgegangen, wie aus den katholischen – manchmal noch bessere".
Durch ein neues Konkordat mit dem badischen Staat würde gerade in diesen schweren Fragen der Vermögensverwaltung, der Lehrerbildung und der konfessionellen Volksschule nach meiner Ueberzeugung nichts Zufriedenstellendes erreicht. Was erreicht werden kann, muss durch den politischen Kampf, vor allem im Landtag und in der Oeffentlichkeit (Presse, Versammlungen) erlangt werden. Die Protestanten würden, sobald der Heilige Vater oder sein Vertreter in Deutschland Verhandlungen führte, aus Misstrauen und Abneigung dagegen sich wenden. Vor der letzten Landtagswahl (November 1925) habe ich mich, weil das Volk durch die hohen Steuern, die Behandlung durch Beamte, Verweigerung von Gehaltserhöhung für die Beamten des Reiches, der Post, der Bahn und des badischen Staates, unwürdiges Benehmen und die Streitigkeiten der Abgeordneten im Reichstag und Landtag und dergl.) schwer verärgert war und ist und auch die Katholiken grossenteils nicht wählen wollten, in drei öffentlichen Versammlungen exponiert und zur Wahl dringend aufgefordert - - erreicht wurde nur, dass das Zentrum, die einzige Partei, auf die in den obigen Fragen bis jetzt man Vertrauen haben konnte, mit einem kleieren [sic] Verlust aus der Wahl hervorging, während es an die Mehrheit hätte herankommen können, wenn alle Katholiken, die sonst treu zur Kirche halten, zur Wahl gegangen wären. - Ich halte den jeztigen [sic] Zeitpunkt für die Aufnahme von Verhandlungen wegen eines neuen Konkordates für ungünstig und nicht geeignet.
Derselben Anschauung sind der Staatspräsident Trunk (kath. Zentrumsmann), Prälat Dr. Schofer1 (Führer des Zentrums) u.a.
Sollte aber eine Staatsumwälzung kommen und die Republik durch die Monarchie abgelöst werden, so würde der dann neue Staat die mit der Republik getroffene Vereinbarung schwerlich respektieren, während er die ein hundert Jahre alte eher anerkennen würde.
In ausgezeichneter Hochschätzung und Verehrung bin ich
Eurer Exzellenz
ergebenster
(gez.) Carl Fritz.
1Handschriftlich korrigiert
Empfohlene Zitierweise
Fritz, Karl an Pacelli, Eugenio vom 30. Januar 1926, Anlage, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Dokument Nr. 4453, URL: www.pacelli-edition.de/Dokument/4453. Letzter Zugriff am: 06.12.2024.
Online seit 29.01.2018.