Freie Gewerkschaften

Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes 1889 wurden neben der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) auch zahlreiche sozialistische Gewerkschaften wieder bzw. neu gegründet. In Abgrenzung zu den liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften und den Christlichen Gewerkschaften wurden die sozialistischen Gewerkschaften als "Freie Gewerkschaften" bezeichnet.
1890 wurde als übergreifende Koordinationsgremien der freien Einzelgewerkschaften die "Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands" gegründet. Sie konnte ihre Kompetenzen in den folgenden Jahren ausbauen und wurde 1906 von der SPD als gleichberechtigtes Leitungsgremium der Arbeiterbewegung anerkannt. Als zentrale Instanz der Gewerkschaftsbewegung trat die "Generalkommission" unter ihrem Vorsitzenden Carl Legien bei Kriegsausbruch 1914 genauso wie die SPD dem Burgfrieden im Deutschen Reich bei. Ihre Mitgliederzahl sank allerdings von ca. 2,5 Millionen im Jahr 1913 über 1,5 Millionen im Jahr 1914 auf unter eine Million im ersten und zweiten Kriegsjahr. In den beiden Folgejahren stiegen die Mitgliederzahlen wieder an.
Die "Freien Gewerkschaften" entschieden sich im Rahmen der Revolution im November 1918 für eine Zusammenarbeit mit den Unternehmern in der "Zentralarbeitsgemeinschaft" (ZAG). Am 15. November 1918 wurde das Stinnes-Legien-Abkommen unterzeichnet, durch das die Gewerkschaften von den Arbeitgebern als berufene Vertreter der Arbeiterschaft und Tarifpartner anerkannt, der Achtstundentag (an sechs Arbeitstagen die Woche) bei vollem Lohnausgleich eingeführt und Arbeiterausschüsse in Betrieben ab 50 Mitarbeitern gegründet wurden. Die Gewerkschaften erkannten im Gegenzug die freie Unternehmerwirtschaft an und verzichteten auf eine umgehende Sozialisierung der Industrie. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern zerbrach jedoch 1924, als der "Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund" (ADGB) wegen der Aufhebung des Achtstundentags in der Industrie aus der ZAG austrat.
Der ADGB wurde auf dem ersten Gewerkschaftskongress nach dem Ersten Weltkrieg 1919 in Nürnberg als Nachfolgeorganisation der "Generalkommission" gegründet. Er war mit 7,3 Millionen Anhängern 1919 der mitgliederstärkste und einflussreichste Gewerkschaftsverbund. Als sich die Hoffnungen der Arbeiterschaft allerdings durch die Auswirkungen der Inflation nicht bestätigt sahen, sanken die Mitgliederzahlen nach 1923 auf ca. 4-5 Millionen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.
1920 spaltete sich der "Allgemeine freie Angestelltenbund" (AfA-Bund) als Interessenvertretung der Angestellten vom ADGB ab. 1924 spalteten sich auch untere Beamte im "Allgemeinen deutschen Beamtenbund" (ADB) ab. Afa-Bund, ADB und ADGB bildeten die drei Säulen der "Freien Gewerkschaften" in der Weimarer Republik. Mit ihren Forderungen nach Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems durch Demokratisierung der Unternehmen und Mitbestimmung der Arbeiternehmer in unternehmerischen Entscheidungsprozessen seit der Mitte der 1920er Jahre scheiterten die "Freien Gewerkschaften" am Widerstand der Unternehmer. Die Einführung der Arbeitslosenversicherung 1927 stellte jedoch einen wichtigen sozialpolitischen Erfolg dar.
Die "Freien Gewerkschaften" befürworteten die Weimarer Republik und riefen 1920 zum Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch auf. Gemeinsam mit der SPD, der DDP und der Deutschen Zentrumspartei waren der ADGB und die Gewerkvereine eine tragende Säule des 1924 zur Verteidigung der Republik gegründeten Kampfbundes "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold". 1931/32 schlossen sich die "Freien Gewerkschaften" und das "Reichsbanner" sowohl gegen die Nationalsozialisten als auch gegen die Kommunisten zur "Eisernen Front" zusammen.
Die "Freien Gewerkschaften" standen den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 nahezu ohnmächtig gegenüber. Das Vertrauen der Arbeiterschaft schwand und es wurden nationalsozialistische und kommunistische Konkurrenzgewerkschaften gegründet. Bereits Anfang Februar 1933 gab der ADGB seine weltanschauliche Anlehnung an die SPD auf und erklärte sich als politisch neutral gegenüber dem neuen Staat. Das hinderte die Nationalsozialisten allerdings nicht daran, die im ADGB organisierten "Freien Gewerkschaften" am 2. Mai 1933 aufzulösen und in der "Deutschen Arbeitsfront" gleichzuschalten.
Literatur
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Empfohlene Zitierweise
Freie Gewerkschaften, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 6046, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/6046. Letzter Zugriff am: 02.12.2024.
Online seit 02.03.2011, letzte Änderung am 17.12.2014.
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